Wenn der Kameramann rot wird
homo.net Info vom 19. Mai 2022
von Webmaster Jan
Jetzt gibt es nur noch 18 Erweiterungsmöglichkeiten. Kaum hatte ich mich letzte Woche über den turnusmäßigen Umbenennungseifer von IDAHO zu IDAHOBIT satirisch lustig gemacht, finde ich bei der Nachlese zum 17. Mai in etlichen Gazetten die IDAHOBITA* Erweiterung. Allen voran Frankfurt am Main und Stuttgart geben den Asexuellen sowie allen anderen die Möglichkeit, sich ihrer Verfolgung und Anfeindung in der Gesellschaft am 17. Mai bewusst zu werden.
Jetzt fehlt mir nur noch jemand, der mir erklärt, in welcher Gesellschaft, Religion, Kultur die Asexuellen oder das Gendersternchen wegen des Sexes, den sie beide nicht haben, getötet, gesteinigt, eingesperrt oder mindestens doch verprügelt, gemobbt oder diskriminiert werden.
Wenn ein Kameramann rot wird, geht es um eine der natürlichsten und menschlichsten Sachen der Welt. „Besserer Sex! Alles eine Frage der Kommunikation?“ Das ZDF Kulturmagazin Aspekte widmet eine ganze Sendung der „schönsten Nebensache der Welt“, wie wir ihn - den Sex - oft völlig falsch benennen. Denn außer essen, trinken und schlafen ist Sex nun mal DIE Hauptsache, für welche Menschen arbeiten, kämpfen, wettstreiten, hassen und lieben.
Von paradiesischen Zuständen bis in unsere heutige über-sexualisierte Welt spannt Aspekte den Bogen. Das ist ein Versuch zu ergründen, wieso es so außerordentlich schwer ist, über Sexualität unvoreingenommen und ohne Scham zu reden. „Demokratie war schon immer ein redseliges Geschäft. Auf der Strecke blieb das Reden über Sex.“
Homosexualität steht gleich am Anfang der Sendung. Schön, dass sie mit einem jungen Podcaster beginnen, der sich im Internet sein Coming-out erkämpfte.
Ein kosmopolitisches Frauenmagazin berichtet statt über Nähen, Backen, Kochen und den Geschmack von Smoothies über die Gaumenfreuden von Ejakulat und dass es der Autorin auch schmecke. Im Interview damit besonders cool konfrontiert, kommt statt einer weiterführenden Erklärung als Erstes eine befreiende Lachsalve der angeblich „ganz leicht, ganz leicht“ über Sex schreibenden Verfasserin.
Anschließend geht es „zum professionellen Dom“. In Vollleder zeigt der nicht nur seine Maskensammlung, sondern führt auch durch sein Studio mit bizarrer Einrichtung. Die Moderatorin darf etliche der Foltermaschinen ausprobieren, natürlich ohne Ausziehen und Schläge. Nachdem der Callboy nur wenig kichert, ist es an der Zeit für die Moderatorin ihre Überraschung lauthals wegzulachen: „Ich wusste nicht … [entfessendes Lachen]“.
Die professionelle Domina kennt jeder. Von einer Meisterin oder Sadistin spricht niemand. Das männliche Gegenstück nennen wir Meister oder Sado, denn der lateinische Begriff ist schon vergeben, für Gott den Herrn.
Gemütlicher geht es beim Sex im Theater zu. Die Berliner Schaubühne bringt „Reden über Sex“. Das ist noch immer ein Tabuthema. Von „jeder tut es und keiner spricht darüber“ bis „über Sex muss man reden“, gehen die Erwartungen des Publikums. Auf einer Theaterbühne sollte es heutzutage keine Tabus mehr geben.
Die Schauspieler haben jeden obszönen Satz Hunderte Male geprobt. Da kommt ihnen problemlos jeder Orgasmus über die Lippen. Beim Interview mit der Autorin gibt es gleich wieder heftiges Gelächter bei der völlig harmlosen Frage: „Warum muss es denn ein Theaterstück geben über… [gewaltige Lachsalve]“. So wird auch verhindert, dass wir mit der vollständigen Frage konfrontiert werden. Wie so oft müssen wir uns den Rest denken. Was, wenn wir uns die falsche Frage stellen?
Wir sind noch immer nicht in einer Gesellschaft angekommen, wo Pornografie normal ist: „Hey, ich hab da ‘nen schönen Porno gesehen“, das sagt man nicht. Als Link verschicken - kein Problem. Mit 97 Milliarden Dollar Umsatz (2015) wurden die „Schmuddelfilme“ nur noch von den Einnahmen bei Amazon überholt.
„Alle Menschen werden als sexuelle Wesen geboren und verhalten sich auch so.“ Doch bei der Aufklärung kann es noch immer erstaunlich peinlich werden. „Scham könnte problematisch sein, wenn es mich daran hindert, das zu tun, was ich mir eigentlich wünsche. … Nur wer früh lernt, über Sexualität zu sprechen, kann später eine erfüllte Sexualität leben.“ „Wer reif genug ist, eine gewisse Frage zu stellen, ist in der Regel auch reif genug für eine Antwort.“
„Sex ist wie Brokkoli nur anders“. Für Brokkoli kennen fast alle nur einen Namen, kaum einer sagt Bröckel-, Spargel- oder Winterblumenkohl oder gar brassica oleracea dazu. Bei Vulva und Penis fallen uns im ersten Fall hunderte, im zweiten Fall weit über 1.000 Synonyme ein. Umschreibend oder obszön sind die meisten davon. Unser Bestes Stück ist damit unbestritten das Wort mit den meisten Synonymen in der deutschen Sprache, gefolgt von den Moneten mit gerade mal schlappen 400 Formulierungsvarianten.
Wenn sich die Moderatorin der Sendung darauf vorbereitet, einen Text vorzulesen, ertappt sie sich selber: „Warum grinse ich jetzt so debil, während ich das lese? … Kaum wird über Sex gesprochen oder geschrieben häh [debiles Grinsen]“. Beim Vortragen später: „Und jetzt grinst der Kameramann.“ Dann endlich befreit sich auch die Moderatorin in heiterster Entspannung. „Hör Dich zum Höhepunkt“.
Fangt an, über Sex normal zu reden. Wer offen und ehrlich sagt, was er will, bekommt es nicht immer, aber immer öfter. Statt zu gendern sollten wir vorrangig die Gleichberechtigung von Sexualität in der Sprache vorantreiben. Wieso gibt es nur umschreibendes „Liebe machen“, „im Bett landen“, „Beischlafen“, wissenschaftliches Koitieren, biblisches Erkennen nebst endlosen Massen an Obszönitäten? Beim „miteinander schlafen“ tun wir so einiges aber garantiert nicht schlafen.
Wer schläft, der sündigt nicht. Genau so wurde unser Unterbewusstsein Jahrtausende lang dressiert, dass der Spaß davor eigentlich Sünde sei. Da hilft nur umlernen.
Germanisten aller Länder vereinigt Euch. Es gilt ein neutrales deutsches Wort für Sexen zu finden, das wir auch im beiläufigen Gespräch mit unseren Müttern problemlos und ungestraft in allen Lebenslagen benutzen können, ohne Scham, ohne Kichern und ohne heiße Ohren.
http://homo.net/news/besserer_sex.html
Diesmal ohne Grinsen
Jan
Webmaster
vom homo.net Team